Programm
29.–31. Mai 2024 in Berlin
Abschlusstagung der interdisziplinären
DFG-Forschungsgruppe „Recht – Geschlecht – Kollektivität“
Das Programm der Tagung „Recht umkämpft. Feministische Perspektiven auf ein neues Gemeinsames“ findet vom 29. bis 31. Mai in Berlin statt.
In fünf Panels, zwei Keynote-Vorträgen und einem Roundtable leisten wir einen Beitrag zu einer interdisziplinären feministischen Rechtsforschung im deutschsprachigen Raum.
Programm
Mittwoch, 29.05.2024
Veranstaltungsort: Senatssaal im Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6 (barrierefrei zugänglich)
15:00 Registrierung & Anmeldung
15:30 Eröffnung der Tagung
Inhaltliche Einführung
(Beate Binder und Eva Kocher)
Grußwort des Vizepräsidenten für Forschung der Humboldt-Universität zu Berlin
(Prof. Dr. Christoph Schneider)
16:00 Recht interdiziplinär erforschen
Schlaglichter auf die Projekte & Organisatorisches
16:30 Panel 1
Ambivalenzen der Rechtsmobilisierung
18:00 Pause
18:30 Keynote Susanne Baer
Rechtskämpfe, in Übersetzungen verstrickt
20:00 Empfang
Donnerstag, 30.05.2024
Veranstaltungsort: Refugio Berlin, Lenaustraße 3–4, 12047 Berlin-Neukölln (barrierefrei zugänglich)
10:30 Registrierung
Ankommen
11:00 Panel 2
Das umkämpfte Gemeinsame: Kollektive Konflikte
13:00 Mittagspause
14:30 Panel 3
Care: Sorgen für/mit/umeinander
16:00 Kaffeepause
16:30 Keynote Silke van Dyk
Perspektiven auf ein neues Gemeinsames: Vom Community-Kapitalismus zur Vergesellschaftung
18:00 Abendessen + Führung durch die Ausstellung
19:30 Rahmenprogramm
„Die Gabys“ (www.diegabys.de)
21:00 Ende
Freitag, 31.05.2024
Veranstaltungsort: Refugio Berlin, Lenaustraße 3–4, 12047 Berlin-Neukölln (barrierefrei zugänglich)
09:00 Registrierung
Ankommen
09:30 Panel 4
Zwischen Navigationshilfe und Grenzziehungsmechanismus: Zur Politik sozialer Figuren
11:00 Kaffeepause
11:30 Panel 5
Movements without Borders? Ambivalences in Transnational Struggles for Social Justice
13:15 Mittagspause
14:00 Roundtable
Feministische Perspektiven auf Recht, Geschlecht und Kollektivität
15:00 Verabschiedung und Umtrunk
offener Ausklang
15:30 Ende
Beiträge
Panel 1:
Ambivalenzen der Rechtsmobilisierung
In diesem Panel diskutieren wir die ambivalenten Auswirkungen rechtlicher Mobilisierungspraktiken. Soziale Akteur*innen, die das Recht mobilisieren, sind sich oft der strukturellen Ungleichheiten bewusst, die im Recht und in den Rechtssystemen verankert sind. Sie wissen, dass ihre rechtlichen Strategien wahrscheinlich nicht zu einem schnellen und günstigen Ergebnis führen werden. Wir fragen, warum sie trotzdem auf das Recht setzen, oder anders formuliert: „Why would intelligent and reflective actors willingly support a system about which, when asked, they voice skepticism concerning its capacities to deliver on the promise of that desired procedural justice?“ (Silbey 2005: 337). Wir stellen empirische Ergebnisse unserer Forschung vor und zeigen, wie die Akteur*innen unserer Forschungsfelder durch rechtliche Strategien mit neuen Diskursen und Praktiken experimentieren. Ziele der Rechtsmobilisierung bestehen nicht (nur) darin, einen juristischen Sieg zu erringen, sondern auch darin, Beziehungen zwischen sozialen Akteur*innen zu formieren und zu verändern, zum Beispiel auch im Rahmen präfigurativer Politiken. Inwiefern können rechtliche Mobilisierungsstrategien als erfolgreich gelten, wenn auch ihren ambivalenten und oftmals unvorhersehbaren Effekten Rechnung getragen werden soll?
Moderation: Alik Mazukatow
Kommentar: Larissa Vetters
Rechtsmobilisierung im Anthropozän: Das Beispiel KlimaSeniorinnen
Die ökologische Krise verschärft sich und droht, menschliche Anpassungsfähigkeit zu übersteigen. Handlungsdruck steigt, neue juristische Argumentationspfade entstehen – Klimaklagen sind zu einem so umstrittenen wie vertrauten Phänomen geworden. Sie stellen als Element des rechtlichen Anthropozän Lebensweisen, Mensch-Natur-Verhältnisse und das Wachstumsparadigma in Frage. Ein markantes Beispiel ist die Beschwerde der Schweizer KlimaSeniorinnen. Sie wurde 2023 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt. Strategisch nutzt sie eine spezifische Vulnerabilität älterer Frauen als Hebel, um fundamentale Fragen von Gleichheit und staatlichen Schutzpflichten in der Krise voranzutreiben.
Dieser Beitrag beleuchtet den Fall KlimaSeniorinnen als Raum des rechtlichen Experimentierens. Dazu nimmt er eine intersektionale Analyseperspektive ein und zeigt, wo das Vorgehen der KlimaSeniorinnen mit Ungleichheitsverhältnissen bricht und wo es diese Verhältnisse fortschreibt. Auf diese Weise macht der Beitrag Rechtsmobilisierung als ambivalente Praxis greifbar und macht es möglich, soziale Veränderungsprozesse zu bewerten.
„Ansteckungsverdächtig!“ – Mobilisierung gegen die Anwendung von seuchenrechtlichen Maßen zur Bekämpfung von HIV/AIDS
Bereits nach dem Bekanntwerden der ersten Fälle von AIDS in der Bundesrepublik setzte eine Debatte um die Nutzung seuchenrechtlicher Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung ein. Unsicherheiten bezüglich der Übertragungswege von HIV und fehlende Möglichkeiten, den Erreger nachzuweisen, bewogen die politisch Handelnden jedoch zunächst, auf präventive Maßnahmen zu setzen. Dies änderte sich, als HIV-Antikörpertests in der Bundesrepublik im Jahr 1985 verfügbar wurden. Auf den ersten Blick schienen somit die Identifikation von Menschen mit HIV, die Nachverfolgung von Übertragungswegen und damit klassische Formen der Seuchenbekämpfung denkbar. Das hätte eine Isolation und/oder Überwachung von Menschen mit HIV bedeutet. Insbesondere konservative Politiker*innen forderten nun eine entsprechende AIDS-Politik. Ihren Höhepunkt erreichte die Debatte, als das Bundesland Bayern versuchte, diese Linie mit Hilfe des sogenannten „Bayerischen Maßnahmenkatalog gegen AIDS“ auf dem Verordnungsweg durchzusetzen.
Der Beitrag geht den Fragen nach, wie im Recht um die AIDS-Bekämpfung und -Prävention gerungen wurde und wie die Schwulenbewegung gezielt Recht mobilisierte. In Blick gerät dabei, wie sich die Schwulenbewegung um eine bestimmte Auslegung des Seuchenrechts bemühte, Rechtswissen zirkulierte und andere Rechtsbereiche, insbesondere den Datenschutz mobilisierte. Während sich die konkrete Auslegung des Seuchenrechts nicht konsequent durchsetzen konnte, zeigte sich insbesondere durch die Nutzung des Datenschutzes ein effektives Mittel, um konservative Vorstellungen von Seuchenbekämpfung abzuwehren.
„If the law does not work, why should it rule?“ Der Topos der Krise der Rechtsstaatlichkeit in Polen aus der Perspektive zivilgesellschaftlicher Akteur*innen
Bei den polnischen Parlamentswahlen im Oktober 2023 ging es ums Ganze: Wenn es der autoritär-nationalistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) gelänge, eine dritte Legislaturperiode in Folge an der Macht zu bleiben, dann werde die liberale Demokratie in Polen vollends abgeschafft, hieß es in oppositionellen Kreisen. Diese Sorge mobilisierte eine Rekordzahl an Wahlberechtigten, insbesondere Frauen und junge Menschen in den Städten, und die demokratische Opposition gewann die Wahl. Zugleich war das Thema der bedrohten Rechtsstaatlichkeit im Wahlkampf kaum präsent, denn es galt als zu abstrakt und kompliziert. Was unter Rechtsstaatlichkeit zu verstehen ist, wem sie nützt und ob sie im Wahlkampf mobilisiert werden sollte, welche Assoziationen und Konnotationen die Rede von der Rechtsstaatlichkeit hervorruft, welche Dilemmata mit ihr verbunden sind, welche anderen politischen Konflikte sie möglicherweise überlagert und was sie für die Demokratie bedeutet – all dies war und ist heftig umstritten.
Dieser Beitrag beleuchtet auf der Grundlage von Interviews mit polnischen Expert*innen aus der Zivilgesellschaft unterschiedliche Bedeutungen von Rechtsstaatlichkeit als Politikum. Er liefert weder eine Einschätzung über den objektiven Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Polen noch eine Chronologie ihrer „Krise“, sondern er hinterfragt diesen Topos und beschreibt, auf welche Arten und Weisen Rechtsstaatlichkeit problematisiert werden kann. Dabei zeigt sich, dass die Ambivalenz des Rechts besonders deutlich zutage tritt, wenn der Rechtsstaat als solcher nicht funktioniert. Doch so ungerecht, ineffektiv und ineffizient das Rechtssystem vorher schon gewesen sein mag – ohne prozedurale Rechte gibt es auch keinen Schutz von Menschenrechten. Lohnt es sich also, das Recht zu retten? Um die unterschiedlichen Antworten auf diese Frage wird es in diesem Beitrag gehen.
Panel 2:
Das umkämpfte Gemeinsame: Kollektive Konflikte
Wir wenden unsere Aufmerksamkeit der umkämpften Kollektivität bzw. dem umkämpften Tun innerhalb unserer Forschungsfelder zu: Aktivismus für die Enttabuisierung der Menstruation, Anerkennung queerer Soldat*innen in der militärischen ‚Gemeinschaft‘, kollektive Aushandlungen nach sexualisierter Gewalt in linken Bewegungen, Wohnen und Arbeit in Selbstorganisation sowie Zusammenarbeit von lesbischen Frauen und schwulen Männern in der bundesrepublikanischen Geschichte. Wir befragen diese unterschiedlichen Formationen des Gemeinsamen nach ihren Konflikten und diskutieren, wie ihre jeweiligen Praktiken der Konfliktregulierung im Verhältnis zu Recht und Gerechtigkeit innerhalb von staatlichen Strukturen und jenseits von diesen stehen.
Zu Beginn geben wir zu diesem Zweck mittels kurzer Vignetten oder Situationsbeschreibungen Einblicke in Konfliktlinien der jeweiligen Forschungsfelder. In einem zweiten Teil bringen wir verschiedene Aspekte und Dimensionen der Konflikte miteinander ins Gespräch. Was sind Konfliktthemen, worum wird gerungen? Was ist das Verständnis von Konflikten oder Konflikttheorien im Feld? In welchem Modus oder auf welcher Abstraktionsebene bewegt sich der jeweilige Konflikt? Welche Formen von Gewalt, von diskursiver über institutionelle bis zu interpersoneller Gewalt, spielen eine Rolle? Wir betrachten ferner die verschiedenen Formen und Arenen der Austragung und die Arten von Lösungsansätzen. Durch wen und auf welche Weise entscheiden sich die Konflikte? Was sind best oder worst cases? Was sind (mögliche) Folgen und Konsequenzen der Konflikte? Und welche Rolle spielten Geschlecht und Sexualität darin?
Bezugnehmend auf das übergeordnete Thema der Forschungsgruppe, „Das umkämpfte Allgemeine und das neue Gemeinsame“, stellen wir fest: Nicht nur das Allgemeine ist umkämpft, auch um das jeweilige Gemeinsame finden konfliktreiche Aushandlungsprozesse statt. Wir sind, was wir gemeinsam tun – politische Kämpfe sind zugleich Ausgangspunkt und Effekt von Kollektivierungen.
Moderation: Andrea Rottmann
„Jetzt gibt es hier zwei Seiten, die haben einen Konflikt“ – Verantwortungsverschiebung nach sexualisierter Gewalt in selbstorganisierten Kollektiven [fällt aus!]
[Dieser Vortrag fällt aus]
// Stellt euch vor, wir sitzen zu acht beim Plenum in einem kalten Raum, Rauch vom Vorabend steht in der Luft, Stühle sind lose in einem Kreis angeordnet. Zaghaft, fast widerwillig fängt das Gespräch an. Es gibt eine Moderation, sie sehen müde aus. Es ist ein Notfallplenum, Sonntagnachmittag, bei den meisten wurde es eingeschoben in eine volle Woche. Aber wenn es darum geht, dass im Projekt sexualisierte Gewalt ausgeübt wurde, dann muss eins sich ja hinsetzen, auch am Sonntag, auch müde. Die Personen im Raum sind überwiegend weiblich und nichtbinär, ein Typ aus der WG ist auch dabei. Die meisten wissen schon was passiert war, die, die es nicht wissen, trauen sich nicht zu fragen und hoffen es würde sich aus dem Kontext ergeben. Die Moderation sagt, sie sind hier als Teil einer Unterstützungsgruppe und sie haben die Schnauze voll davon, dass ihnen die Eskalation im Konflikt zugeschoben wird. Es ist ihnen bewusst, wie gerne alle hier Harmonie haben, aber die Disharmonie angeheizt und die Stimmung hochgekocht hat nicht ihre Unterstützungsarbeit, sondern der Übergriff selbst, Leute sollen das mal klarkriegen. Eine Person meldet sich und bringt ein, die Situation habe sich zu einem Loyalitätskonflikt entwickelt, dabei war es doch eine interne Geschichte am Anfang, jetzt taucht der Konflikt jedoch überall auf, wo sie hingeht, und spaltet die Zusammenhänge. Eine andere Person scheint zu wissen, auf welchen Kontext sich hier spezifisch bezogen wird, und sagt dazu nur, dort gab‘s doch davor schon einen Konflikt, eine Altlast sozusagen, da ging‘s auch schon um so Mackerscheiße, da waren doch sogar ähnliche Leute involviert damals, naja, jedenfalls sei das doch ein Nebenschauplatz und hier und heute geht es ja um was anderes. Stille. Die Moderation nimmt den Faden wieder auf, es gehe doch heute hier um den offenen Konflikt im Projekt, und darum, wie wir uns dazu verhalten wollen, dass es jetzt vermeintlich zwei Seiten gibt, als ob wir nicht immer wieder über unsere anti-patriarchale Haltung gesprochen hätten. Leute kommen in den vergangenen Wochen im Flur oder in ganz anderen Situationen auf uns zu und erzählen, wie überfordert sie mit der Situation sind, und was für einen Druck sie verspüren, aber nur sehr wenige übernehmen aktiv Verantwortung. Bei manchen ist es auch nicht überraschend, die hatte man eh nicht als konfliktfähig eingeschätzt. Aber eigentlich geht es doch darum, das heute zu klären, eben eine gemeinsame Haltung zu haben und sich nicht darüber zu zerlegen. //
Meine ethnographische Forschung spürt selbstorganisierten Aushandlungen nach sexualisierter Gewalt in Räumen sozialer Bewegungen nach. Während eine politische Haltung, die sich gegen gewaltförmige Herrschaftsverhältnisse richtet, integraler Bestandteil der Selbstverständnisse involvierter Commons-förmiger Kollektive ist, führen Verletzungen durch interpersonelle Gewalt entlang solcher Ungleichheitsverhältnisse immer wieder zu drastischen Konflikten. Auch wenn die obige Vignette eine mit Interviewzitaten gespickte Fiktion ist, so gibt sie Einblick in die entstehenden Konfliktdynamiken.
Zusammenarbeit und Konflikte von Lesben und Schwulen in der Geschichte des Kommunikations- und Beratungszentrum homosexueller Männer und Frauen
Die Vorstellung einer vereinten queeren, LSBTIQ* oder auch nur einer Lesben- und Schwulenbewegung ist für die Bundesrepublik Deutschland unzutreffend. Zwar gab es immer wieder Zusammenarbeit über vergeschlechtlichte Identitätskategorien hinweg wie in den homophilen Gruppen der 1960er Jahre oder den homosexuellen Emanzipationsgruppen der 1970er Jahre. Die Zusammenarbeit von Lesben und Schwulen, später auch biromantisch bzw. bisexuellen, trans*, inter* und queeren* Menschen war aber keineswegs selbstverständlich und kam häufig überhaupt nicht zustande. Die allermeisten Gruppen, die zwischen den 1970ern und 2010ern Bildungsarbeit oder Bildungspolitik zu sexueller, später auch geschlechtlicher Vielfalt machten, organisierten sich um die vergeschlechtlichten Identitätskategorien lesbischer Frauen bzw. schwuler Männer.
Die Geschichte des Kommunikations- und Beratungszentrum homosexueller Männer und Frauen (KBZ) zwischen 1980 und 2000 ist ein gutes Beispiel für die sowohl gelingende als auch scheiternde Zusammenarbeit von lesbischen Frauen und schwulen Männern in der bundesrepublikanischen Geschichte: Das KBZ wurde 1980 in Westberlin gegründet und hatte Beratungs- und Bildungsangebote. Als lesbisch-schwules Kollektiv entwickelte das KBZ zwei selbstständige, aber kooperierende Beratungssysteme, wobei finanzielle und organisatorische Fragen in einem gemischten Plenum besprochen wurden. Eine inhaltliche Zusammenarbeit von Lesben und Schwulen gab es nur in der Bildungsarbeit des KBZ. Die Zusammenarbeit innerhalb des KBZ war von Anfang an konfliktgeladen: So entstand in der Gründungsphase innerhalb der Frauengruppe eine Auseinandersetzung über das Ausmaß der Zusammenarbeit mit der Männergruppe, die zwar gelöst werden konnte, aber auch dazu führte, dass zwei Frauen die Gruppe verließen.
Nach über einem Jahrzehnt andauernder Zusammenarbeit von lesbischen Frauen und schwulen Männern scheiterte das KBZ schließlich Mitte der 1990er Jahre an einem Konflikt über die Verteilung von staatlichen Fördermitteln. Gelder zur AIDS-Prävention privilegierten die Schwulenberatung unmittelbar materiell und mittelbar inhaltlich, sodass eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich schien. Im Streit über die Verteilung der Finanzmittel gründeten sich Lesben- und Schwulenberatung 1993 und 1994 aus dem KBZ aus. Lesbisch-schwule Zusammenarbeit überdauerte allerdings im Bildungsbereich, der sich 1995 den Namen ‚KomBi – Kommunikation und Bildung vom anderen Ufer‘ gab.
Wenn das Gemeinsame durch eine machtvolle Organisation repräsentiert wird – Konflikte um Diversität im Militär
Empirische Basis bilden Interviews mit trans Soldat*innen, die um Anerkennung Ihrer Identität innerhalb der militärischen Gemeinschaft kämpfen. Die Soldat*innen können sich dabei zwar auf das Antidiskriminierungsrecht beziehen, aber es zeigt sich, wie notwendig es ist, die formalen Richtlinien der Organisation mit diesem in Einklang zu bringen und zugleich wie schwierig dies in einer formell wie informell männlich und heteronormativ geprägten Organisation ist. Die Soldat*innen schließen sich dabei einerseits im Verband Queer-BW zusammen, um die Auseinandersetzungen um Vielfalt in der Organisation erfolgreicher führen zu können. Andererseits aber beziehen sie sich auf die militärische Gemeinschaft und wie diese im Soldat*innengesetz rechtlich verankert ist. Die Interviews zeigen, vor welche Hürden die Soldat*innen dabei gestellt sind, wie intensiv sie aber zugleich nicht nur um ihre Position in den Streitkräften sondern auch um deren Veränderung kämpfen. Die Überlegungen verbinden einen feldtheoretischen (Fligstein/McAdam 2012) mit einem organisationssoziologischen Ansatz (Luhmann 1964, Kühl 2011). An Edelman (1992 u.a.) orientiert lassen sich zudem die Beziehungen von Recht und Organisation in den Blick nehmen.
Menstruationsaktivismus in Deutschland – Gemeinsam (im Konflikt) gegen das Menstruationstabu
Am 1. Januar 2020 verabschiedete der Bundestag ein neues Gesetz, mit dem die Umsatzsteuer von Menstruationsprodukten von 19 auf 7 Prozent gesenkt wurde. Vorangegangen ist dieser Gesetzesänderung eine öffentliche Debatte über zwei Jahre, in der einzelne und kollektive Vertreter*innen unterschiedlichster Interessen gegen die fiskalische Diskriminierung Menstruierender im Steuerrecht protestierten. Spätestens seit dieser Gesetzesänderung sind die Menstruation und deren gesellschaftliche Bedeutung in Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen. In anderen Ländern setzten analoge Prozesse deutlich früher ein. Die amerikanische Ausgabe des Lifestylemagazins Cosmopolitan erklärte bereits 2015 als „the year the period went public“.
Um die Menstruation in Deutschland ist ein Feld aktivistischer Initiativen, Pilotprojekte, Kampagnen und Organisationen entstanden. Gleichberechtigung durch Enttabuisierung und Entstigmatisierung von Menstruation ist das die Bewegung leitende Ziel. Dieses Gemeinsame vereint eine Vielzahl aktivistischer (Protest-)Aktionen, die primär zwei thematischen Schwerpunkten folgen. Eingeleitet durch die Frage der Ungleichbehandlung Menstruierender im Mehrwertsteuersystem ist es einerseits die Verringerung systematischer Diskriminierung durch die Reduktion sogenannter ‚Periodenarmut‘ (Period Poverty). Andererseits erleben die Themen Menstruationsgesundheit und -bewusstsein auf einer Individualebene einen regelrechten Boom. Diese Themen, ob im Allgemeinen, im Sport oder am Arbeitsplatz, mobilisieren einen neuen Produkt- und Dienstleistungsmarkt. Menstruation ist also nicht nur ein Feld ehrenamtlicher Aufklärung, sondern hat neue Berufs- und Arbeitsfelder entstehen lassen.
Die unterschiedlichen Interessen verbinden folglich verschiedene Akteur*innen, die sich für das gemeinsame Ziel zeitweise kooperativ organisieren. In gleicher Weise „gemeinsam“ ringen sie auch um (individuelle) Anerkennung und (thematische) Deutungshoheit.
Meine Forschung versteht Menstruationsaktivismus als ein organisationsförmiges soziales Phänomen. Mit empirischen Daten werden dabei verschiedene Formen der Organisierung menstruationsaktivistischer Interessen entdeckt, analysiert und systematisiert. Konflikte zwischen den Akteur*innen erweisen sich als ein integraler Bestandteil im Kampf für das (neue) Gemeinsame: Sie begründen das in Deutschland sichtbare umkämpfte Menstruationsfeld.
Von Binnenverträgen bis Schiedsverfahren – zum Umgang mit Konflikten in Selbstorganisation
Auf der Suche nach Commoning-Praktiken mit dem Recht oder jenseits des Rechts widmete sich meine Forschung unter anderem bestimmten Formen der Konfliktprävention und -lösung bei Kollektivbetrieben und selbstverwalteten Wohnprojekten. Es geht also um Gruppen, die Wohnen, Arbeit, politische oder soziale Projekte hierarchiearm und demokratisch organisieren und gestalten. Dies ist alles andere als trivial, denn es gibt nur wenige gesellschaftliche Bereiche, wo Erfahrungen damit gemacht werden können, als Gleichberechtigte Entscheidungen zu treffen und zu handeln. In den meisten Kontexten (Familie, Schule, Ausbildung, Arbeit) fungieren formelle Hierarchien zur ‚Lösung‘ von Konflikten.
Langjährige Berater*innen für Selbstorganisation beobachten bei Neugründungen ein relativ freies Herangehen seitens der Gruppen, basierend auf Vertrauen und auf gemeinsamer politischer Überzeugung. Oft entstehen jedoch nach nur kurzer Zeit erste Konflikte. Zum Teil erleben die Beteiligten dann lange und energieraubende Auseinandersetzungen, blockieren sich als Projekt und werden im worst case entscheidungs- und handlungsunfähig. Konflikte lösen sich dann oft gerade über Machtverhältnisse, die man eigentlich überwinden wollte. Wer etwa über die für den Betrieb notwendigen formalen Qualifikationen verfügt oder wer Eigentumstitel hat, kann im Konfliktfall darauf zurückgreifen, und einige ziehen mittels des bürgerlichen Rechtssystems Vorteile daraus. Bei ehemals besetzten Häusern, die als GbR gekauft wurden, klagen beispielsweise Einzelne ihren (im Marktwert gestiegenen) Anteil heraus. In der Folge sind die Projekte existenzgefährdet, oder Mieten müssen erhöht werden, und Bewohner*innen werden verdrängt.
Um Derartiges zu verhindern, entwickelten Projekt-Berater*innen sogenannte Binnenverträge und begannen schiedsgerichtliche Verfahren zu empfehlen. Binnenverträge sind Resultat eines strukturierten Beratungsprozesses, in welchem bspw. Ziele und inhaltliche Ausrichtung, Aufnahmeprozesse in die Gruppe und Austritte, Einbringen und Entnahme von Geld und/oder Ressourcen, Kommunikations- und Entscheidungsprozesse oder Haftungsfragen besprochen werden. Die Ergebnisse werden schriftlich festgehalten und unterschrieben. Dazu gehört auch das Vorgehen im Konfliktfall. Hier kann auch ein schiedsgerichtliches Verfahren vereinbart werden. Basierend auf der ZPO ermöglicht es, in einem geschützten Rahmen und auf Basis der eigenen Vereinbarungen eine Entscheidung herbeizuführen. Als Verträge ohne Staat und Entscheidungen ohne Gericht sollen diese Werkzeuge Gruppen zu gemeinsamem Handeln ermächtigen und Verbindlichkeit ‚am Rande des Rechts‘ herstellen.
Panel 3:
Care: Sorgen für/mit/umeinander
Die Frage, wie Praktiken und Vorstellungen der Für_Sorge in gegenwärtige Auseinandersetzungen um Recht und das neue Gemeinsame eingelagert sind, soll im Zentrum dieses Panels stehen. Wir greifen damit Debatten um das wechselseitige Angewiesensein auf Unterstützung aller Menschen auf. Dabei liegt der Schwerpunkt bei den politischen und theoretischen Dimensionen solidarischer Praktiken von Care.
Moderation: Martin Lücke
Commons: Care als Prinzip
Über Care wird viel gesprochen. Sei es in Krisendiagnosen („Care-Krise“), in normativen Setzungen („Care-Gerechtigkeit“) oder im Hinblick auf gesellschaftliche Transformation („Care-Revolution“). Care taucht dabei mit verschiedenen Bedeutungsdimensionen auf: etwa als Sorge für andere, für sich selbst, für das Gemeinwohl, aber auch für die mehr-als-menschliche Welt. Häufig geht es um spezifische Tätigkeitsfelder und Berufe, denen große gesellschaftliche Bedeutung attestiert wird, in denen zugleich jedoch vergleichsweise schlechte Entlohnung und Arbeitsbedingungen beklagt werden. Dieser Beitrag diskutiert einen Zugang, der Care nicht als Kategorie spezifischer Tätigkeiten fasst, sondern als Prinzip der bedürfnisorientierten Versorgung und Erhaltung von Beziehungen und Lebensbedingungen. Davon ausgehend lassen sich historisch gewordene Formen der Absonderung und Trennung (Produktion–Reproduktion, öffentlich–individuell/privat, Wirtschaft–Leben) in ihrer intersektionalen Vergeschlechtlichung problematisieren und die Diagnose der Krise schärfen. Ein Zugang über Commons kann vor diesem Hintergrund Perspektiven eröffnen, die in spezifische Muster der Arbeitsteilung geronnenen Trennungen theoretisch zu hinterfragen und praktisch zu überwinden.
Fürsorge als Bedingung und Widerspruch des Protestes
In der Protest- und Streikforschung wird die Rolle der Fürsorge- und Reproduktionsarbeit für soziale Bewegungen oft vernachlässigt. Dabei sind langfristige Proteste ohne die tagtägliche Sorge füreinander während der Aktionen und ohne die meist außerhalb der Proteste geleistete Reproduktionsarbeit gar nicht möglich. Der Beitrag diskutiert die Frage der Care-Krise anhand der ethnografischen Forschung in einem wilden Streik im Vorkriegs-Russland und stellt den emischen widersprüchlichen Feldbegriff Zabota (Fürsorge, Sorge, Reproduktionsarbeit) anhand verschiedener feministischer Definitionen von Care vor. Es wird argumentiert, dass sowohl die Care, verstanden als gegenseitige Fürsorge und Solidarität während des Streiks, als auch die Care, verstanden als Reproduktionsarbeit, die von den Partnerinnen der Streikenden zu Hause geleistet wird, durch die Langfristigkeit der Arbeiterproteste und die Gründung von Gewerkschaften in eine tiefe Krise geraten. Die Krisenhaftigkeit der Fürsorge macht sie für die ethnografische Forschung besonders zugänglich, da die Frage nach der „guten“ und „richtigen“ Fürsorge (z. B. durch den Staat) im Feld ständig reflektiert wurde. So ermöglicht der Blick auf Care und Reproduktionsarbeit in Protesten und Streiks ein besseres Verständnis von sozialen Bewegungen und gleichzeitig von der Krisenhaftigkeit von Care.
Rechtsform und Care
In der feministischen Rechtskritik wird schon lange analysiert, wie das Recht subjektiviert und Rechtssubjekte herstellt, wie es damit Menschen und Zusammenhänge voneinander trennt und wie es durch seine Methode der Herstellung von „Objektivität“ die Situiertheit von Positionen unsichtbar macht. Diese rechtskritischen Analysen beziehen sich in der Regel – wenn auch nicht immer explizit – auf ganz bestimmte Formen des Rechts, insbesondere auf subjektive Rechte und auf deren Durchsetzung in gerichtlichen Verfahren. Dieser Beitrag erweitert den Blick auf informale und prozedurale Formen des Rechts (also auf Formen, deren Rechtscharakter in einem engen Verständnis von Recht oft infrage gestellt wird). Im Mittelpunkt steht dabei die rechtliche Form von „angemessenen Vorkehrungen“ (einer Rechtsfigur aus dem Antidiskriminierungsrecht). Es wird gezeigt, wie diese Formen „Care“ aufnehmen, und inwiefern sie möglicherweise anders subjektivieren als herkömmliche Formen des Rechts.
Panel 4:
Zwischen Navigationshilfe und Grenzziehungsmechanismus:
Zur Politik sozialer Figuren
Im Reden und Handeln wird häufig auf soziale Figuren zurückgegriffen, etwa wenn von dem Autofahrer und der Fußgängerin, der Verbraucherin, dem Gesetzgeber oder dem Gewerkschafter und der Arbeitnehmerin gesprochen wird. Diese Figuren erleichtern zunächst das Navigieren komplexer sozialer Welten. Gleichzeitig gerinnt in ihnen das Soziale zu verdichteten, intersektional geschlechtlich kodierten Vorstellungen. Auch in den Auseinandersetzungen um das Allgemeine und Gemeinsame kommen soziale Figuren zum Einsatz: Sie werden ins Feld geführt, um Bestehendes zu verteidigen oder zu verwerfen, um Pläne plausibel zu machen und eigene Sichtweisen auf die „Welt, wie sie ist“ zu untermauern. Da mit diesen komplexitätsreduzierenden Wahrnehmungs- und Darstellungsweisen immer auch soziale Grenzen gezogen und soziale Ordnungen gefestigt werden (sollen), stellen wir die Politiken dieser Figuren ins Zentrum dieses Panels und diskutieren ihre Nutzung vor dem Hintergrund unserer Forschungen.
Moderation: Beate Binder
Figuren im Recht: Einige einleitende Überlegungen
Welches Potential bietet der Fokus auf soziale Figuren, wenn Prozesse der Rechtsmobilisierung wie der Verhandlung von Recht in den Blick genommen werden? Der Beitrag stellt in knappen Thesen die Potentiale des Forschungsansatzes vor und bezieht diese auf die Themen und Fragestellungen der Forschungsgruppe.
„Radfahrer eher zufrieden“: Die Figurierung von Mobilität
Über Figurierungen wie „Radfahrer“, „Autofahrer“ oder „Fußgänger“ wird nicht nur der Zustand von Mobilitätsinfrastrukturen verhandelt, oft genug dient das Miteinander im Straßenverkehr auch der Diagnose von Gesellschaft, etwa wenn zunehmende Aggressivität beklagt wird. Jedoch sind in diese Bewertungsfolien hegemoniale Rationalitäten eingelagert, die dieser Vortrag analysiert.
Wer ist „der Verbraucher“? Orientierungen und Grenzziehungen zwischen Recht, Politik und Wissenschaft
Die Figur „des Verbrauchers“ ist mit ihren Ängsten, Bedürfnissen und Hoffnungen regelmäßiges Sujet aktueller Tagespolitik. Hoch abstrakt und quasi alle betreffend wirkt sie schnell identitätsstiftend. Gleichzeitig bleibt meist vage, was genau unter ihr zu verstehen ist. In dem Beitrag wird mit einem Streifzug durch Recht, Politik und Wissenschaft expliziert, wie Verbraucher*innen als soziale Figuren gedacht und welche sozialen Grenzziehungen dabei mitproduziert werden.
Relevanz und Auswirkungen der verschiedenen sozialen Figuren im Recht gegen sexualisierte Belästigung in der Arbeitswelt
In der Forschung zum rechtlichen Framing spielen soziale Figuren eine wesentliche Rolle. Bei jedem Frame ist stets mitgedacht, wer in diesem Kontext mit wem interagiert. In diesem Vortrag wird aufgezeigt, mit welchen sozialen Figuren das Recht gegen sexualisierte Belästigung arbeitet und welche Implikationen sich daraus für zukünftige Rechtsarbeit ergeben.
Panel 5:
Movements without Borders? Ambivalences in Transnational Struggles for Social Justice
Looking at historical and present processes of collectivization, this panel brings a transnational perspective to gender, law, and collectivity. We are particularly interested in transnational actors seeking to mobilize for social change across national boundaries on a global as well as local scale. Specifically, we investigate how such actors, including NGOs, activist networks, and trade unions, use legal categories to challenge the existing social injustices at the intersections of sexuality, gender, race, and class. To illustrate our reflections about the ambivalences of using legal strategies to bring about social change, we draw on insights from our research into past and present legal mobilizations.
We juxtapose three case studies: the gay and lesbian lobby campaign of Amnesty International in the 1970s and 1980s; the negotiations of the UN Code of Conduct for Transnational Corporations, and the mobilizations of food delivery workers in Berlin. Drawing on approaches from gender and queer studies, history, law, and sociology, we point to the limitations and repercussions of relying on categories from human rights and labor rights to challenge social injustices on a global scale. We also take a closer look at how a focus on legal politics affects power imbalances within collectives, and how their own discourses and practices around intersectional injustices change over time.
Chair: Patrick Wielowiejski
Discussant: Eva Kocher
How Love Became a Human Right: The Gay and Lesbian Lobby Campaign of Amnesty International, 1974-1991
Looking at the gay and lesbian movement’s lobby campaign of Amnesty International from the mid-1970s to the early 1990s, I discuss in this paper how the movement made use of human rights to fight discrimination globally. The contemporaneous rise of human rights politics and gay and lesbian politics in the 1970s allowed queer activists to occupy the “empty signifier” of human rights and pursue a gay and lesbian universalism. As I will show, they did so both in continuity with earlier, problematic conceptions of homosexuality as an anthropological constant and as a new strategy to harness the “polycentric” power of the language of human rights, which appealed to activists in different places worldwide. By lobbying the Amnesty International, queer activists brought discourses around homosexuality to a global stage that involved human rights activists and thus lay people rather than medical or political professionals and contributed to a shifting understanding of the meaning of human rights and the mission of Amnesty International.
Tinkering with Organisations: Lessons in Resistance from Worker Collectives in Berlin
Mobilisations of platform workers have provided ample opportunities to study the heterogeneous forms of new worker organisations. In this paper, I draw on a theoretical perspective combining social movement studies and organisation studies to investigate the new worker organisations established by delivery workers in Berlin from 2021 to 2023. At that time, predominantly migrant workers delivering food and groceries for Gorillas, Lieferando, Flink and Getir established “workers collectives,” a form of worker organisations deliberately designed as distinct from that of a union. Based on 12 interviews with key members of these collectives coming from Europe, North and South America, Asia and Africa, I reconstruct how they acted as organizational bricoleurs. Faced with the challenges of a high internal heterogeneity, in particular the intersecting dynamics of gender, race and class inequality, the activists experimented with organisational, law-related and care practices with the hope of preventing reproducing these dynamics inside their organisation.
A Battle Lost? Feminist reflections on the failed negotiations of the UN Code of Conduct for Transnational Corporations
“Business and Human Rights” (BHR) is a dynamically evolving legal field, as most recently manifested in the Corporate Sustainability Due Diligence Directive of the European Union from 15 March 2024. In this paper, I contextualize the field by examining the failed negotiations of the UN Code of Conduct for Transnational Corporations (1972-1992) through a feminist lens. As the Code was the first attempt to comprehensively regulate transnational corporations on an international level, its negotiations were the site of discursive struggles, some of which have not been resolved up to this day. Particularly drawing on documents from the UN archives and the UN publication “CTC Reporter” (1976-1991), I attempt to show the structural privileging of androcentrism and the detrimental effects this has had on the Code of Conduct and the BHR field. To do so, I first examine the gendered dimensions of the conduct of transnational corporations from an intersectional perspective, highlighting the lived experiences of women. I then introduce the institutional context of the UN deliberations, particularly addressing questions of representation. Finally, I analyse the negotiations of the Code of Conduct through the lens of dichotomies, examining the categorisations of corporations as public/private and subject/object, and of the Code as binding/voluntary and balanced/unbalanced, mapping out dis-/continuities in present BHR discourses.
Roundtable:
Feministische Perspektiven auf Recht, Geschlecht und Kollektivität
Dieser Roundtable widmet sich der Frage, wie unsere Forschungen mit feministischen Kämpfen und Bewegungen verbunden sind. Wir diskutieren, welche feministischen Perspektiven in unseren Projekten bedeutsam sind und wie sie sich im Verlauf der Forschung und der interdisziplinären Zusammenarbeit verändert haben. Weiterhin interessiert uns, auf welche feministischen Perspektiven wir in den politischen Auseinandersetzungen unserer Forschungsfelder gestoßen sind: Wie konnten wir an diese für unsere Forschung anknüpfen und wo gab es Reibungspunkte? Schließlich sprechen wir darüber, wie bestehende feministische Ansätze und Konzepte für zukünftige Auseinandersetzungen um ein neues Gemeinsames weitergedacht werden können. Zugespitzt gesagt, wie kann das neue Gemeinsame (noch) feministischer werden?
Es diskutieren:
Andrea Rottmann: Historikerin und Kulturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Sexualitäten- und Geschlechtergeschichte, Postdoc in Geschichte an der Freien Universität Berlin
Beate Binder: Professorin für Europäische Ethnologie und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin
Ida Westphal: Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin
Eva Kocher: Professorin für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht, leitet das Center for Interdisciplinary Labour Law Studies (C*LLaS) an der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Matthias Schneider: Postdoc für Geschlechter- und Organisationsforschung an der Universität Potsdam
Sabine_ Hark: Professur für Gender Studies und Leitung des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin
Es moderiert:
Martin Lücke: Professor für Didaktik der Geschichte mit Schwerpunkten Sexualität und Geschlecht an der Freien Universität Berlin
Keynote 1:
Rechtskämpfe, in Übersetzungen verstrickt
Ist Recht ein Mittel, um allgemeine Vorstellungen von Gerechtigkeit und einem friedlichen Miteinander zu verwirklichen – und wenn, dann wie genau? Lässt sich die Art und Weise, wie wir künftig gemeinsam leben wollen, ins Juristische übersetzen – und wenn, in welche Form der Regulierung? Welche Folgen und Effekte hat das, wo stößt es auf Grenzen? Präsentiert wird ein rechtsrealistischer Ansatz, mit dem sich „Rechtskämpfe“ besser verstehen und auch erfolgreicher – nicht für wenige, sondern für alle – führen lassen.
Dieser Zugriff auf das Recht ist kritisch, aber entschieden produktiv. Seit langem wird ja diskutiert, dass emanzipatorische Rechtskämpfe in einem Spannungsverhältnis zum Recht stehen. Tatsächlich vermittelt Recht nicht ohne Weiteres gleiche Rechte, sondern steht der Gerechtigkeit oft selbst im Weg. Daher wurde vor dem „Sirenenruf des Rechts“ gewarnt; der Ruf nach „Abolitionismus“ ist wieder zu hören; berühmt ist die These, Recht sei ein untaugliches „master’s tool“. Abstinenz ist jedoch nicht angezeigt. Gerade emanzipatorische Politik darf das Instrument Recht nicht autokratischen Politiken überlassen. Daher müssen Rechtskämpfe heute schon um das Recht selbst geführt werden – um den Rechtsstaat, und nicht um irgendeinen.
Darüber hinaus lässt sich rechtsrealistisch genauer fassen, was jeweils eigentlich als „Recht“ verhandelt wird, und was dafür oder dagegen spricht. „Das Recht“ oder „das Juridische“ ist tatsächlich ein Mix unterschiedlicher Praxen; „das Recht“ ist nur ein Sammelbegriff. Konkret besteht Recht aus Praxen der Mobilisierung, unterschiedlichen rechtsbezogen Akteuren, also Handelnden, verschiedenen Regulierungsprozessen, mehreren Modi sowie Folgen und Effekten. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein zu fragen, wer genau wie geteilte Erfahrungen von Ungerechtigkeit in welches Recht mit welchen Folgen und Effekten für wen „übersetzt“. Rechtskämpfe lassen sich dann als fortwährende Versuche verstehen, Rechtspraxen zu beeinflussen, also Recht durch unterschiedliche Handelnde in bestimmten Prozessen usw. „umzuschreiben“. Kontroversen um Ehe oder Selbstbestimmung, um Prostitution, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit oder auch um Klimaschutz werden damit zur kritischen Praxis des „re-writing“. Das Spannungsverhältnis zwischen Emanzipation und Recht bleibt dann bestehen, aber der rechtsrealistische Zugriff ermöglicht es, produktiver mit ihm umzugehen.
Keynote 2:
Perspektiven auf ein neues Gemeinsames: Vom Community-Kapitalismus zur Vergesellschaftung
Die Community gilt als warmer Zufluchtsort in einem kalten Gesellschaftssystem und erfreut sich angesichts multipler Krisen großer politischer Beliebtheit. Oft versteckt sich in der Community jedoch unbezahlte Arbeit, die ein Lebenselixier des Kapitalismus ist. Im Lichte der Hegemonie- und Funktionskrise des Neoliberalismus ist eine Konfiguration entstanden, die sich als Community-Kapitalismus dadurch auszeichnet, soziale Aufgaben an die Zivilgesellschaft zu delegieren und dies mit einer neuen Gemeinschaftsrhetorik und -politik zu verknüpfen. Die politische Ökonomie des Community-Kapitalismus zielt auf die Etablierung, Förderung und Anreizung nicht-kommodifizierter, oft eigeninitiativ erbrachter Aktivitäten und Beiträge, die keiner direkten Kontrolle unterliegen, nicht oder nur rudimentär entschädigt werden, gleichwohl aber profitgenerierend (von Unternehmen) oder kostenminimierend (durch den Sozialstaat) genutzt werden. Die moralische Ökonomie des Community-Kapitalismus greift dabei auf eine fest verankerte, emotional aufgeladene, geschlechtsspezifische Rahmung unbezahlter Arbeit in ihren unterschiedlichen Facetten zurück. Sie bedient sich der Sakralisierung von Engagierten und Helfenden ebenso wie der Idee der Sorge als ‚Liebesdienst‘ und der langen Tradition von Gemeinschaftsaffirmation als Kapitalismuskritik, die in ihrem Zusammenspiel dazu beitragen, die arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Kehrseiten des Community-Kapitalismus zu de-thematisieren. Tatsache ist aber, dass der Aufstieg des Community-Kapitalismus Ausbeutungsverhältnisse verschärft und Fürsorge und soziale Gaben an die Stelle von sozialen Rechten treten lässt.
Wie kann eine Alternative zum Community-Kapitalismus aussehen, die die wechselseitige Verbundenheit von Menschen stärkt, ohne ihre Autonomie einzuschränken, die den Fallstricken gemeinschaftsbasierter Fürsorge entgeht, ohne unkritisch den Sozialstaat mit seinen normierenden und exkludierenden Implikationen anzurufen und die – vor allem – eine solidarische Antwort auf die zerstörerischen Folgen von Privatisierung, Kommodifizierung und Deregulierung bietet? Der Vortrag stellt dem Outsourcing sozialer Aufgaben an die Zivilgesellschaft im Modus der passiven Subsidiarität und weitgehenden Rechtlosigkeit die Perspektive der Vergesellschaftung gegenüber: Diese zielt auf das Insourcing der Zivilgesellschaft und ein Commoning des Öffentlichen im Sinne radikaler Demokratisierung und damit auf die gleichzeitige Stärkung sozialer und politischer Rechte.
Tagungsbericht
Partner & Förderer
Die Forschungsgruppe „Recht – Geschlecht – Kollektivität“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Beteiligt sind Forschende von der Humboldt-Universität zu Berlin, der Freien Universität Berlin, der Technischen Universität Berlin, der Universität Potsdam und der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).